Videokonferenzen und ihre Grenzen – wie damit umgehen? Ein Update

Seit bald einem Jahr arbeiten viele von uns viel häufiger als zuvor im Heimbüro. Besprechungen werden oft online durchgeführt und dies wird wohl auch nach der Pandemie mindestens teilweise so bleiben.
Es stellt sich die Frage, ob wir in diesem Umfeld den Gesundheitsschutz genügend beachten: Ergonomie, Arbeitsorganisation, Arbeitsmittel und die psychosozialen Faktoren, z.B. Erfahrung von Rückmeldung und Wertschätzung, Mitbestimmung und Zugehörigkeit zum Team.

Videokonferenzen helfen, den Kontakt im Team oder zu Kunden und Partnern aufrechtzuerhalten. Doch bringen Videokonferenzen uns an unsere Grenzen. Unsere jahrtausendealte Art der Wahrnehmung und Verarbeitung von verbalen und non-verbalen Signalen kann schon durch minimale Zeitverzögerung bei der Übertragung zu spürbaren Einschränkungen führen, z.B. wenn Bild und Ton nicht 100% übereinstimmen. Das strengt uns an, ermüdet und kann Missverständnisse verursachen.
Wenn Körpersprache und Gesichtsausdruck der Beteiligten nicht gleich wahrgenommen werden können wie in der persönlichen Begegnung, ist die non-verbale Kommunikation erschwert. Wir verfügen dann nur über einen Teil der Information, die wir benötigen, z.B. um Unstimmigkeiten oder Einverständnis beim Gegenüber festzustellen. Online-Besprechungen verbleiben deshalb oft oberflächlicher und unverbindlicher als erwünscht.

Die Übertragungstechnik hat enorme Fortschritte gemacht. Trotzdem müssen wir im Online-Gespräch diszipliniert sein und warten, bis jemand ausgesprochen hat. Die Spontanität ist eingeschränkt und damit bleibt bei der gemeinsamen Suche nach Lösungen oft der zündende Funke zum Geistesblitz oder auch zum Kompromiss aus. Online-Sitzungen können deshalb bei Beteiligten zu Unzufriedenheit oder Enttäuschung führen.

Anderseits hat sich inzwischen gezeigt, dass Online-Besprechungen oft gezielter ablaufen und weniger Tendenz zum Abschweifen haben – was von vielen Beteiligten als angenehm empfunden wird.

Nach Hunderten Stunden Videokonferenzen empfehlen wir:

• Fokussieren ist das Zauberwort 
• Online-Sitzungen frühzeitig ansagen, inkl. Traktandenliste und Ziel der Sitzung
• Anzahl Teilnehmende: möglichst gering und fokussiert
• Sitzungsdauer: möglichst kurz. Besser mehrere (Teil-)Sitzungen als ein Marathon
• Pausen fest einplanen und einhalten

Für die Sitzungsleitung:

• Leitungsfunktion und Moderation aktiv und aufmerksam wahrnehmen
• In der Sitzung mit Traktandenliste arbeiten, d.h. fokussieren. Ziel der Sitzung zu Beginn besprechen
• Umgang mit spezifischen Themen: falls notwendig mit einzelnen Teilnehmenden vorgängig Vorbereitungssitzung durchführen.
  In der Sitzung für Zusatzthemen einen Themenspeicher führen, dazu separate Sitzung vereinbaren.
• Die Beteiligten direkt ansprechen, aktiv von jeder Person ihre Meinung und ihr Einverständnis oder ihre Einwände abholen
• Ergebnisse mehr als sonst wiederholen und festhalten, Feedback bzw. Einverständnis dazu ausdrücklich von jeder Person abholen
• Wertschätzung und Dank für Beiträge aussprechen, für offenen Austausch sorgen, Spass und gemeinsames Lachen ermöglichen

Für Teilnehmende:

• 100% an Online-Sitzung teilnehmen, keine Aktivitäten nebenbei, keine Mails lesen und bearbeiten. Die anderen Teilnehmenden spüren, ob Aufmerksamkeit vorhanden ist oder nicht. Fehlende Aufmerksamkeit kann als fehlende Wertschätzung empfunden werden und das gemeinsame Ziel der Besprechung gefährden.
• Sich einbringen und klar äussern. Dabei auf wichtige Aussagen fokussieren.
• Dokumente so vorbereiten, dass sie schnell gezeigt werden können
• Wenn möglich und sinnvoll, Fragen oder Anliegen innerhalb des Teilnehmerkreises via Chatfunktion austauschen bzw. Inputs anmelden
• Wenn sinnvoll, vor (oder nach) der Sitzung mit einzelnen Personen Kontakt aufnehmen und Themen z.B. so für die Diskussion aufbereiten.

Forschungsergebnisse zu Videokonferenzen übersichtlich zusammengestellt in der Netzwoche: 
https://www.netzwoche.ch/news/2020-05-03/warum-das-gehirn-videokonferenzen-nicht-mag?xing_share=news